Scherbeanspruchung

Bei vielen Konstruktionen werden Bauteile und Werkstücke auf Scherbeanspruchung belastet. Dabei wirken zwei äußere Kräfte (F) senkrecht (quer) zur Längsachse (Stabachse) des Bauteils. Die beiden Wirkungslinien der Kräfte (Schnittkanten) werden mit einem kleinen Abstand (Schneidspalt) so zueinander verschoben, dass im Material entlang der Schnittkanten eine Scherspannung herrscht und beim Erreichen der notwendigen Kraft (Scherkraft) das Material abgetrennt wird. Die aufzuwendende Scherkraft ist abhängig von der Scherfestigkeit des Werkstoffs und von der Scherfläche. Die Scherspannung ist abhängig von der Scherkraft und der Scherfläche.

Beim Abscheren wird ein Werkstoff in der Regel mehrfach belastet, so dass im Material gleichzeitig Zug-, Druck-, Biegespannung oder Flächenpressung auftritt. Diese werden bei der Berechnung jedoch meistens vernachlässigt, da die Wirkungslinien des Kräftepaares einen sehr geringen Abstand haben.

Scherbeanspruchung

Formelzeichen bei Scherberechnungen

Folgende Formelzeichen werden bei Scherberechnungen verwendet:

  • Kraft: Formelzeichen F
  • Scherfläche: Formelzeichen S
  • Scherspannung: Formelzeichen τa
  • Scherfestigkeit: Formelzeichen τaB
  • Streckgrenze: Formelzeichen Rm
  • Zulässige Scherspannung: Formelzeichen τa zul
  • Zulässige Scherkraft: Formelzeichen Fzul

Formel für Scherspannung

Formel für Scherspannung

Beispiel:

Kraft (F): 5000 Newton

Scherfläche (S): 314 mm²

Gesucht: Scherspannung τa

Berechnung: 5000 : 314 = 15,92 N/mm²

Ermitteln der Scherfestigkeit

In Scherversuchen werden Werkstoffe überprüft, um die Scherfestigkeit (τaB) zu ermitteln. Die Werte können aus den Datenblättern der Materialhersteller bzw. aus Tabellenbüchern entnommen werden. Ist kein Wert für die Scherfestigkeit (τaB) verfügbar, bedient man sich bei duktilen Stählen häufig Ersatzwerten unter Zuhilfenahme der Zugfestigkeit (Rm) und leitet daraus die nachfolgenden Beziehungen. Die Ersatzwerte gelten nicht für spröde Werkstoffe außer bei Gusseisen mit Lamellengrafit. Hier setzt man häufig als Ersatzwert für die Scherfestigkeit die Beziehung τaB ≈ Rm.

Ersatzwerte für Scherfestigkeit

Zulässige Scherspannung unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors

Die Scherfestigkeit τaB stellt die Belastungsgrenze eines Werkstoffs dar, bis zu der ein Werkstoff theoretisch auf Abscherung hin belastet werden kann. In der Praxis werden Bauteile jedoch nicht so dimensioniert, dass die Kräfte tatsächlich bis an die Belastungsgrenze gehen. Es wird immer eine Sicherheitsreserve eingebaut, so dass die zulässige Scherspannung (τa zul) deutlich geringer ist als die Scherfestigkeit.

Ein Sicherheitspuffer wird mit einem Sicherheitsfaktor, auch Sicherheitszahl genannt, erreicht. Das Formelzeichen für die Sicherheitszahl ist v und sie liegt bei einer Zahl über 1. Wenn die Scherfestigkeit durch die Sicherheitszahl geteilt wird, erhält man als Ergebnis eine geringere zulässige Scherspannung. Daher gilt für die zulässige Scherspannung folgende Formel:

Formel für zulässige Scherspannung

Beispiel:

Scherfestigkeit (τaB): 290 N/mm²

Sicherheitszahl (v): 4

Gesucht: Zulässige Scherspannung τa zul

Berechnung: 290 : 4 = 72,5 N/mm²

Berechnen der zulässigen Scherkraft

Hat man den Wert für die zulässige Scherspannung ermittelt, kann man in Verbindung mit der Scherfläche die zulässige Scherkraft für das Bauteil insgesamt berechnen. Die Formel hierfür lautet:

Formel für zulässige Scherkraft

Beispiel:

Zulässige Scherspannung (τa zul): 72,5 N/mm²

Scherfläche (S): 314 mm²

Gesucht: Zulässige Scherkraft Fzul

Berechnung: 72,5 · 314 = 22765 Newton

Scherkraft bei Abscherung ohne Sicherheitszahl

Besonders bei der Verarbeitung von Werkstücken ist eine Abscherung häufig erwünscht, z.B. beim Stanzen. In solchen Fällen darf man für die Berechnung der aufzuwendenden Scherkraft natürlich keine Sicherheitsreserve einbauen, da man die Kraft berechnen muss, die zum Abscheren tatsächlich benötigt wird. Das bedeutet, man muss die Kraft berechnen, die zum Überwinden der Scherfestigkeit notwendig ist und nicht die zulässige Scherspannung. Die Formel für solche Fälle lautet daher:

Formel für Scherkraft

Beispiel:

Scherfestigkeit (τaB): 290 N/mm²

Fläche (S): 314 mm²

Gesucht: Scherkraft zum Schneiden F

Berechnung: 290 · 314 = 91060 Newton