Festigkeitslehre: Festigkeit bei Belastungen berechnen

Bauteile und Materialien sind ständigen Belastungen ausgesetzt. Mit der Festigkeitslehre wird versucht vorherzubestimmen, welchen Belastungen ein Bauteil standhalten kann bzw. ab welcher Belastung ein Bauteil zerstört wird. Die Festigkeitslehre ist ein breites Gebiet. Auch wenn Facharbeiter im Metallgewerbe sich nicht sehr tief damit auskennen müssen, so sollten sie trotzdem die Grundlagen, Belastungsarten und Grundberechnungen etc. beherrschen. Mit der Festigkeitslehre verfolgt man folgende Ziele:

  • Sicherheit und Langlebigkeit der Bauteile: Das ist der wichtigste Punkt. Es wäre fatal, wenn ein Bauteil den Belastungen nicht standhalten würde, das Gesamtkonstrukt zerstört und nicht mehr funktionsfähig werden würde und im schlimmsten Fall sogar Menschenleben in Gefahr gerieten.
  • Kostengünstige Herstellung der Bauteile: Erfahrungsgemäß sind Konstruktionen teurer, je fester sie sind, da man dabei mehr Materialien und mehr Herstellungszeit benötigt. Da Unternehmen immer ein Interesse haben, unnötige Kosten zu vermeiden, haben sie ein Interesse daran, die Konstruktionen nicht unnötig überdimensioniert zu gestalten.
  • Kostengünstige Wartung der Bauteile: Bauteile und Konstruktionen müssen nach der Fertigstellung häufig gewartet werden, damit die Sicherheit und Funktionsfähigkeit weiter gewährleistet ist. Dabei werden z.B. ermüdete Bauteile ausgetauscht und ersetzt. Die Auswahl der richtigen Materialien sowie die richtige Dimensionierung kann dabei helfen, die Wartungskosten zu senken.

Beanspruchungsarten bei Belastungen

Materialien und Bauteile werden bei Belastungen unterschiedlich beansprucht. Häufig treten mehrere Beanspruchungsarten gleichzeitig auf. Zu den Beanspruchungsarten zählen:

Beanspruchungsarten bei Belastungen

Spannung im Material bei Belastungen

Wird ein Bauteil belastet, entsteht im Material eine Spannung. Diese werden wie folgt benannt:

  • Zugspannung (bei Beanspruchung auf Zug), Formelzeichen σz
  • Druckspannung (bei Beanspruchung auf Druck), Formelzeichen σd
  • Knickspannung (bei Beanspruchung auf Knickung), Formelzeichen σk
  • Biegespannung (bei Beanspruchung auf Biegung), Formelzeichen σb
  • Scherspannung (bei Beanspruchung auf Scherung), Formelzeichen τa
  • Torsionsspannung (bei Beanspruchung auf Verdrehung, Torsion), Formelzeichen τt

Elastische und plastische Formänderungen

Werden Bauteile belastet, tritt im Material Spannung auf. Dabei bleibt das Material nicht starr, sondern wird elastisch und plastisch verformt. Von einer elastischen Verformung spricht man, wenn das Bauteil unter Spannung gesetzt wird, das Bauteil verformt wird und nachdem die Spannung entfällt, das Bauteil wieder in seinen Ursprungszustand zurückkehrt. Wenn man z.B. einen Metallstab unter Zugspannung setzt, dehnt sich das Bauteil wie ein Gummi aus. Entfällt die Spannung, ist die Form des Metallstabs wie vor der Belastung und hat keinerlei Änderungen.

Ist jedoch die belastende Kraft bzw. die Spannung zu groß, bleibt eine Verformung im Bauteil. In dem Fall spricht man von einer plastischen Verformung. Die Grenze, bis zu der ein Bauteil elastisch verformt und somit plastisch nicht verformt wird, wird wie folgt benannt:

  • Streckgrenze (bei Zugspannung), Formelzeichen Re
  • Quetschgrenze (bei Druckspannung), Formelzeichen σdF
  • Biegegrenze (bei Biegespannung), Formelzeichen σbF
  • Verdrehgrenze (bei Verdrehung, Torsion), Formelzeichen τtF
Plastische Formänderung bei Zugspannung

Bei Abscherung und Knickung haben Metalle kein elastisches Formverhalten. Bleibende Formänderungen (plastische Verformungen) werden wie folgt benannt:

  • Dehnung (bei Zugspannung), Formelzeichen ε
  • Stauchung (bei Druckspannung), Formelzeichen εd
  • Biegung (bei Biegespannung), Formelzeichen f
  • Verdrehwinkel (bei Verdrehung, Torsion), Formelzeichen φ

Maximale Festigkeit des Materials

Ein Bauteil wird zerstört, wenn die auftretende Spannung zu groß ist. Die maximale Spannung, die erzeugt werden muss, damit ein Material nachgibt, wird wie folgt benannt:

  • Zugfestigkeit (bei Zugspannung), Formelzeichen Re
  • Druckfestigkeit (bei Druckspannung), Formelzeichen σdB
  • Knickfestigkeit (bei Knickspannung), Formelzeichen σkB
  • Biegefestigkeit (bei Biegespannung), Formelzeichen σbB
  • Scherfestigkeit (bei Scherspannung), Formelzeichen τaB
  • Torsionsfestigkeit (bei Torsionsspannung), Formelzeichen τtB

Dabei muss die maximale Spannung nicht zum Zeitpunkt der Zerstörung auftreten. Wenn z.B. ein Metallstab unter Zugspannung gesetzt wird, beginnt das Material ab der Streckgrenze sich plastisch zu verformen (bleibende Formveränderung). Ist die Spannung bei der maximalen Zugfestigkeit, beginnt das Bauteil, dünner zu werden. Dadurch, dass das Bauteil von da an immer dünner wird, muss bis zur endgültigen Zerstörung immer weniger Kraft aufgewendet werden, bis irgendwann das Bauteil zerstört wird. Deutlich wird das am Verlauf des Spannungs- und Dehnungsdiagramms für Stahl. Beim Erreichen der Zugfestigkeit ist das Material noch nicht zerstört.

Spannungs- Dehnungsdiagramm Stahl

Die verschiedenen Belastungsarten

Die Belastung kann auf ein Bauteil unterschiedlich wirken. Grundsätzlich wird zwischen statischer und dynamischer Belastung unterschieden. Diese sind:

  • Ruhende, statische Belastung (Belastungsfall I): Bei dieser Belastungsart steigt die Belastung bis zu einem Belastungsniveau und bleibt von da an konstant, z.B. beim Stützpfeiler eines Gebäudes.
  • Schwellende, dynamische Belastung (Belastungsfall II): In diesem Fall wechselt die Belastung zwischen dem Höchstwert und 0 hin und her, z.B. bei einer Feder.
  • Wechselnde, dynamische Belastung (Belastungsfall III): Hierbei wechselt die Belastung zwischen Plus und Minus hin und her. Das ist der Fall, wenn z.B. die Belastung zwischen Zug und Druck wechselt, z.B. bei einer Pleuelstange.
Verschiedene Belastungsarten

Grenzspannung, Sicherheitszahl und zulässige Spannung

Die Kennwerte eines Werkstoffs, z.B. die Streckgrenze oder die Zugfestigkeit, stellen in Abhängigkeit vom Belastungsfall Grenzwerte für die Spannung dar (Grenzspannung), ab dem ein Bauteil den Anforderungen nicht mehr entspricht oder gar zerstört wird. Damit Bauteile ihre Funktion fehlerfrei erfüllen und nicht zerstört werden, müssen Belastungen bis an die Grenzspannung verhindert werden. Das geschieht mit Hilfe eines Sicherheitsfaktors, der auch Sicherheitszahl (Formelzeichen v) genannt wird. Damit die zulässige Spannung reduziert wird, muss die Sicherheitszahl höher als 1 sein. Teilt man die Grenzspannung durch die Sicherheitszahl, erhält man als Ergebnis eine geringere zulässige Spannung und man erhält eine Reserve zwischen der zulässigen Spannung und der Grenzspannung. Die Formel lautet daher wie folgt: σzul = σlim : v.

Zulässige Spannung mit Sicherheitszahl

Beispiel:

Streckgrenze (Re): 235 N/mm² (Grenzspannung σlim)

Sicherheitszahl (v): 2

Gesucht: zulässige Zugspannung σz zul

Berechnung: 235 : 2 = 117,5 N/mm²